„Die Verwirrung des Zöglings Törleß“ und der Nationalsozialismus

Warum die Anwendung des Romans “Die Verwirrung des Zöglings Törleß” von Musil auf den Nationalsozialismus besondere Bedeutung hat

Der Roman” Die Verwirrung des Zöglings Törleß” wurde vom Österreicher Robert Musil bereits 1906, also mehr als 30 Jahre vor Beginn des zweiten Weltkrieges publiziert, dennoch ist eine Verbindung zu faschistischen Systemen, besonders dem Nationalsozialismus, nicht zu bestreiten.

Die lässt sich an mehreren Punkten belegen.

Ein wichtiger Punkt des Nationalsozialismus ist eine Ideologie, die auf Feindlichkeit gegenüber einer Gruppe der Gesellschaft gegründet ist. Dies findet sich in der buddhistisch angehauchten Esoterik des Beineberg. Beineberg erschafft sein “Feindbild” aber nicht nach religiösen Leitmotiven, zur Selektierung und Bevorzugung einer arischen Rasse, sondern gegenüber einer anderen unterdrückten Minderheit, den sozial Schwachen. Basini, das Opfer von Beineberg und Reiting, gehört zu den ärmeren Zöglingen des Instituts. Er ist ein, aufgrund der finanziellen Lage seiner Eltern, verachteter Träumer. Ein kleiner Fehltritt Basinis, der unter anderen Umständen kaum der Rede wert gewesen wäre, macht ihn, in Beinebergs Augen, zu einem niedrigen Geschöpf. “Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein Mensch in dem wundervollen Mechanismus der Welt irgend etwas bedeuten soll”, (Seite 78) lässt Musil seinen Charakter Beineberg über Basini sagen. Bereits dies erinnert stark an eine Selektierung in “wertes” und “unwertes” Leben, eine Selektierung des Todes, die zu Zeiten des Nationalsozialismus allgegenwärtig war. Doch Beineberg geht noch weiter: “Bei einem Menschen legt sich diese Härte in seinen Charakter, in sein Bewusstsein als Mensch, in sein Verantwortlichkeitsgefühl, ein Teil der Weltseele zu sein. Verliert nun ein Mensch dieses Bewusstsein, so verliert er sich selbst (…) Und niemals kann man so sicher sein als in diesem Falle, daß man es mit etwas Unnotwendigem zu tun habe, mit einer leeren Form, mit etwas, das von der Weltseele schon längst verlassen wurde” (Seite 78/9) Ein Satz der die Vernichtung “unwerten” Lebens mehr als deutlich nahe legt. Denn selektiert man in Beinebergs Schema, so gibt es Menschen zweierlei Klassen, und der einen, von der “Weltseele” verlassenen Klasse, kann nicht mehr geholfen werden. Zwar führt Beineberg diesen Gedanken noch nicht zu Ende, wie sollte man Musil auch einen so kranken Gedankengang zutrauen, wie den, der Teil des Nationalsozialismus war? Auch die Reaktion Törleß´ mahnt einen an das Verhalten vieler Deutscher im Nationalsozialismus: “Törleß fühlte keinen Widerspruch. Er hörte auch gar nicht mit Aufmerksamkeit zu.” (Seite 79), ein Verhalten, dass eine nationalsozialistische Diktatur nur möglich macht, ein stupides Berieseln lassen, ohne an Konsequenzen und Auswirkungen für andere zu denken, das an Desinteresse grenzt, solange man sich selber im Sicheren wähnt.

Auch in Beinebergs abscheulichem “Hypnose-Experiment” zeichnen sich Gräueltaten des Nationalsozialismus ab. Mit welcher Gelassenheit Beineberg zu Basini sagt:” … wenn du alles befolgst, was ich dir sage, soll dir kein Leid geschehen; wie du mich aber durch den geringsten Widerspruch störst, schieße ich dich nieder. Merk dir das! Ich werde allerdings auch so töten, aber du wirst wieder zum Leben zurückkommen.” (Seite 171) Eine Aussage, die den puren Wahnsinn eines Fanatismus in skurrilster Form erscheinen lässt und doch dem Nationalsozialismus so nahe ist. Denn auch zu dieser Zeit führten Nazis Versuche an Juden durch, die fernab jeglichen Humanismus, den Tod der Juden nicht nur billigte, sonder begrüßte. So ist das Schießen auf Basini für Beineberg doch so leicht, wie das Schießen auf einen Juden für einen Nazi, da beide, durch absurde Ideologien, frei von jeglicher Menschenwürde erschienen.

Es wird nun Kritiker dieser Theorie geben,. die sagen, dass das Opfer Basini kein Jude sei, aber dieses Argument lässt sich leicht ins Gegenteil verkehren. Denn untersuchen wir de Roman genau, stellen wir fest, dass es sich um eine “judenbereinigte” Gesellschaft handelt. Sicherlich war es nicht tagtäglich, dass Juden, zu dieser bereits faschistisch geprägten Zeit in elitären Institutionen ausgebildet wurden, aber, dass das Judentum so gänzlich verbannt erscheint ist auffällig. Bedenkt man die Zeit der Entstehung, muss man sagen, dass in anderen Roman Juden eine wichtige Rolle spielen. Musils Zeitgenosse Schnitzler, der auch Österreicher war und im weiteren Jude, zum Beispiel, lässt die Unbeliebtheit und Vorurteile gegenüber Juden immer wieder in seine Romane und Erzählungen einfließen.

Doch nicht nur der ideologische Fanatiker Beineberg und der Mitläufer Törleß, der sich zumindest zu Beginn des Romans als ein solcher präsentiert, zeigen Aspekte des Nationalsozialismus auf, sondern auch Reiting.

Reiting ist ein Intrigant, der sogar in der Lage ist Beineberg gefährlich zu werden (Seite 79). Er ist in der Lage die Massen auf seine Seite zu ziehen, was ihm durch sein Charisma leicht gelingt. Erinnert dieses Bild eines charismatischen Führers, der Massen auf Grund seiner puren Anwesenheit in Ekstase bringen kann nicht stark an das publizierte Führerbild des “Dritten Reiches” in Form von Hitler, das durch die Propaganda von “Göbels” nur noch medienwirksamer wurde?

Auch das Konvikt erinnert, in seiner strengen und stark durchgeplanten Art, an den nationalsozialistischen Staat. (Seite 29f.) Alles ist stupide geplant, jeder muss einen Berg von Arbeiten bewältigen, muss den Lehrplan befolgen, der fast ausschließlich auf eine militärische Laufbahn hinführt. Das Institut schafft also menschliche Kampfmaschinen, die ohne großes Überlegen, Zweifeln und Widerstreben bereit sind “Feinde” auszuschalten. Das Konvikt ist der erste Baustein einer Maschinerie des Tötens und jeder junge Mann, der sich zu der Elite zählen will, ist bestrebt in dieser Maschinerie zu Ruhm und Ehren zu gelangen. Ähnlich wie alle jungen Männer zu Zeiten des “Dritten Reiches” von klein auf gelernt haben, dass der Militärdienst, das Sterben für das Vaterland, Ruhm und Ehre bedeutet. Nur so bewegt man junge hoffnungsvolle Menschen dazu, ihr Leben für den niedrigen Zweck des Tötens zu opfern.

Vielleicht lassen sich viele dieser Prinzipien auf andere faschistische Systeme anwenden, wie den Kommunismus, aber man bedenke dabei, dass der Roman von einem Österreicher geschrieben wurde, der auch in Deutschland lebte. Somit beziehen sich alle gesellschaftlichen Studien, die Musil hauptsächlich anhand von Reiting, Beineberg und Törleß verdeutlicht, auf eine deutsch-österreicherische Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die wenige Jahrzehnte später einem Faschismus verfallen wird, der wie alle Faschismen Brutalitäten zutage brachte, die zwar nicht unbedingt grausamer sind als andere, aber immer gesellschaftsspezifisch, bedenkt man zum Beispiel die unglaubliche Genauigkeit bei der Auflistung der von Juden entwendeten Güter.

Alles in allem spricht die Vielzahl der Aspekte, die einen Bezug zum Nationalsozialismus haben, doch dafür, dass dieser Roman zumindest dazu anregen kann, an das “Dritte Reich” zu denken, auch wenn es den Missbrauch von Gewalt in einem faschistischen System natürlich auch im Allgemeinen zeigt.
(Die Seitenangaben folgen der 59.Auflage des Rowohlt Taschenbuch Verlages, welches im Februar 2008 veröffentlicht wurde)

Geschrieben von Anna am 07. Mai 2008 | Veröffentlicht in Kultur

5 Antworten zu “„Die Verwirrung des Zöglings Törleß“ und der Nationalsozialismus”

  1. Mikheil sagt:

    Anna ich bin ein Fan von dir. Du schreibst wirklich ausgezeichnet und vor allem sehr professionell.

    Du solltest diesen Artikel unbedingt ausdrucken und an Herrn Tschirbs weitergeben…

  2. Anna sagt:

    Freut mich 😉

  3. melli sagt:

    ein super artikel, der mir sehr geholfen hat. schöne sprache. Danke!

  4. Nadine sagt:

    Der Artikel ist klasse 🙂
    Er hat mir ebenfalls sehr geholfen!!!!
    Danke 🙂

  5. Vio sagt:

    Supi! Ich hoffe in der Klausur morgen hilft mir dieser (sehr professionell verfasste) Artikel!

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